Der Magier, inzwischen fast besessen von dem Gedanken, Mirkov zu fassen zu bekommen, beschloß, es mit den Toren zu versuchen. Vielleicht konnte er den Kopfgeldjäger ja noch aufspüren? Urplötzlich durchzuckte ihn ein Schmerz in der linken Seite und er starrte überrascht auf einen kleinen, schwärzlichen Wurfdolch, der in seinem Lederpanzer steckte, aus dem hellrotes Blut quoll. Baldowan ließ ein lautes., grollendes Wutgeschrei hören und suchte dann mit rötlich-unterlaufenen Augen die umliegenden Dächer ab. Dort stand der Kopfgeldjäger! Auf einem der Dächer verbarg er sich, nur als schemenhafte Gestalt erkennbar, hinter einem Vorsprung, machte aber kehrt, als Baldowan ihn entdeckte.
Der Magier schickte sofort einen - wenn auch schwachen - Feuerstrahl nach oben, um Mirkov zu stoppen, doch dieser brachte sich mit wehendem Mantel in Sicherheit und wandte sich zur Flucht.
Baldowan stürmte hinterher, verwarf alle Gedanken, auf seine Freunde zu warten und begann, die Mauer zu erklettern. Zu seinem Glück war die Mauer rau und unregelmäßig, so dass auch ein mäßiger Kletterer wie er schnell vorankommen konnte. Als er sich über die Kante zog, blickte er direkt in die stahlgrauen, unerbittlichen Augen Mirkovs, der mit seinem Dolch auf die Trollfinger zielte, die sich an der steinernen Kante festzuklammern versuchten.
"Wiedersehen, dummer Troll", spottete der Kopfgeldjäger und stach mit dem Dolch nach Baldowans Fingern, dem es in letzter Sekunde gelang, die Hand zur Seite zu schieben und dem brutalen Angriff zu entgehen. Nun verfluchte er seine Ungeduld, und wünschte, auf seine Freunde gewartet zu haben. Doch plötzlich kam ihm eine tollkühne Idee, die eigentlich nur von einem verrückten stammen konnte.
Er stieß sich mit den Füßen von der Wand ab, schwebte einen kleinen Moment frei in der Luft und legte fast die ganze verbliebene Kraft in einen Feuerstrahl, der Mirkov aus nächster Nähe mitten ins Gesicht traf. Baldowan ergötzte sich, vor Schwäche der Ohnmacht nahe, an den Schmerzensschreien des zusammenbrechenden Kopfgeldjägers, bevor er sich an seine unrühmliche Situation erinnerte.
Gleich würden 125 Kilo Trollfleisch unerbittlich nach unten sausen und im Hof aufschlagen. Er biss die Zähne zusammen und verlangsamte in allerletzter Sekunde den Fall mit einem Levitationszauber, so dass er zwar schmerzhaft, aber ohne schlimmere Verletzungen auf dem Boden aufschlug. Dann wurde es Nacht.
Baldowan schlug die Augen auf und sah weiß. Weißes Leinen, weißgetünchte Wände und die weiße Kleidung einiger Frauen, die geschäftig durch den Raum gingen, in dem er lag. Passend dazu waren die Verbände, die er an mehreren Stellen seines Körpers bemerkte. Von einigen Schmerzen an der linken Seite und im Rücken abgesehen, fühlte er sich aber nicht so schlecht, wie man hätte befürchten können. Eine der Frauen, er erkannte sie jetzt als Nonne aus dem Orden der Matrina, trat zu ihm und reichte ihm einen Becher kalten Tee, den er dankbar entgegennahm, wenn er auch ein Sandenhaffer Bier bevorzugt hätte. "Was ist passiert?" krächzte er mit belegter Stimme. Sie legte den Finger auf die Lippen und schüttelte bedauernd den Kopf. Offenbar war sie an ein Schweigegelübde gebunden.
Von rechts vernahm er leise Stimmen, und als er den Kopf dorthin bewegte, erkannte er seine Freunde Bendix, Rainald, Sirion und Andrej. Sirion und Andrej standen offenkundig unverletzt neben den Betten, in denen sich Rainald und Bendix von den Strapazen des letzten Kampfes erholten. "Hey, was ist mit Mirkov passiert?", verlangte Baldowan ungeduldig, mit noch immer kaum hörbarer Stimme zu wissen. Aufgeschreckt drehte sich Andrej, der Paladin, zu ihm um und antwortete. "Dir geht es besser?" "Ja, ja, aber was ist mit Mirkov?" Er ist tot, geröstet von Deinem Feuerstrahl." Baldowan sackte erleichtert in seine Kissen zurück. "Und was ist mit dem Schattenmantel? Habt ihr den Schattenmantel?" Andrej schaute ihn verständnislos an. "Schattenmantel? Was für ein Schattenmantel?"
Bendix setzte sich auf und warf einen traurigen Blick zu dem Troll. Gerade, als wir dich im Hof fanden, beugte sich eine Gestalt über den Kopfgeldjäger und nahm den Mantel an sich. Wir konnten ihn nicht aufhalten, er hat sogar noch mit einer Pistole einen der Stadtwächter erschossen." Baldowan unterdrückte einen Fluch und bedeckte die Hände mit den Augen. Umsonst! Die ganze Hetze war umsonst gewesen! Nur zu gern hätte er den legendären Schattenmantel in die dicken Finger bekommen und für teures Geld verkauft....
"Was ist mit der Stadtwache? Bist du rehabilitiert, Rainald?" Der Strassenkämpfer grinste schwach unter seinem turbanähnlichen Verband hervor. "Nun ja, sie haben mir zwar vorgeworfen, an einem Gefangenenausbruch maßgeblich beteiligt gewesen zu sein, aber das Rauschharz, das in Mirkovs Schlupfwinkel gefunden wurde, hat sie mehr als entschädigt! Ich würde sagen, viele neue Freunde habe ich mir wohl nicht gemacht".
Mit einem leisen Knarzen öffnete sich die Tür ihres Krankenzimmers und eine wohlbekannte Gestalt in grauer, unauffälliger Spinnenseidenrüstung betrat den Raum. "Alicia!", wurde sie freudig von allen Seiten begrüßt. Zwar hatte auch die junge Frau einige Verletzungen erlitten, jedoch hatte sie nicht im Hospiz bleiben müssen. Sie nickte den Männern kurz zu und ließ ihren intensiven Blick dann kurz auf Baldowan ruhen. "Jungs, es gibt Neuigkeiten! Hauptmann Hermanis von der Stadtwache hat einige Verhöre vorgenommen." "Und?", drängelte Rainald, "was ist dabei rausgekommen?" "Einige der Schläger haben, wohl in der Hoffnung auf Strafmilderung, ausgesagt, dass Mirkov den Einbruch ins Lagerhaus durchgeführt hat. Damit ist Rainalds Ehre wohl gerettet, falls er jemals so etwas hatte..."
Der Strassenkämpfer zog leicht pikiert eine Augenbraue nach oben, sagte aber nichts, sondern betrachtete Alicia Figur mit Kennermiene. Die junge Straßenkämpferin schien darauf nur gewartet zu haben, den sie erteilte Rainald sofort eine Abfuhr. "Ich mag keine Blumen, kenne sämtliche deiner Stammkneipen in Nevongard in- und auswändig und für ein Picknick auf der Garteninsel bin ich auch nicht zu haben. Du brauchst Dich also nicht bemühen!" Rainald lief rot an und bemühte sich, seine herabhängende Kinnlade wieder zu schließen, denn er hatte gerade überlegt, mit welchem seiner Angebote er wohl die besten Chancen hätte. Sogar eine der zufällig anwesenden Nonnen konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als die Freunde in schallendes Gelächter ausbrachen.
"Bevor ich es vergesse: Mein Vater lädt Euch alle für morgen Abend zu einem stilechten Unterweltsdinner ins `Savoir Vivre´ ein." Und mit einer Kusshand für Baldowan verabschiedete sie sich.
Am nächsten Tag wurden die Freunde entlassen und machten sich frohen Mutes auf den Weg, den warmen Herbsttag mit einigen Bieren zu verbringen, um dabei die Ermahnungen der Nonnen bezüglich einer gesunden, gottesfürchtigen Lebensweise zu vergessen. Einen kleinen Zwischenfall gab es allerdings: Ein junger, etwas übereifriger Stadtwächter namens Olaf erkannte Rainald in einem Straßencafé am Gildenmarkt und schickte sich an, die erste Verhaftung seiner Karriere zu vollziehen, als zufällig ein Hauptmann der Garde vorbeimarschierte, der das Missverständnis noch rechtzeitig auflösen konnte, schließlich war Rainald von jeglichem Verdacht befreit, in das Lagerhaus eingebrochen zu sein...
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