Bendix betrachtete zweifelnd seine Garderobe, die auf dem schäbigen Bett in seinem noch schäbigeren Quartier ausgebreitet lag. "Was, zum Teufel, zieht man bei einer Gaunerparty an?" Rainald zuckte die Schultern. "Manche laufen dort ziemlich abgerissen herum, andere protzen mit ihren besten, natürlich gestohlenen Kleidern, das ist Geschmacksache. Es scheint allerdings üblich zu sein, mit vielen schmutzigen Waffen anzugeben, wer etwas auf sich hält, hat Stilett, Dolch, Stockdegen, Garotte, Bola oder Peitsche dabei..." Mit diesen Worten begann er, sein umfangreiches Waffenarsenal an und in seiner Kleidung zu befestigen. Bendix schaute ihn ungläubig an. "Das kann nicht dein Ernst sein, bei so einer Party muss es ja förmlich Leichen geben!" "Wer seine Waffen benutzt, wird erstens von den Türstehern rausgeschmissen und zweitens nie wieder eingeladen. Meistens geht es also ganz friedlich zu..."
Bendix kam die ganze Sache zwar reichlich merkwürdig vor, aber er beschloß spontan, möglichst viele seiner Reservewaffen mitzunehmen und seine gute Händlerkleidung um den Korsarendreispitz seines Onkels zu ergänzen, der ihm ein dandyhaftes, leicht verkommenes Aussehen verlieh. Wer weiss, vielleicht konnte er ja ein wenig Eindruck schinden.
Im "Savoir Vivre" angekommen, stellte er aber fest, dass er hier keineswegs auffiel. Malice, der Wirt, hatte ein ganzes finsteres Kellergewölbe zur Verfügung gestellt, in dem sich die Nevongarder Unterwelt fröhlich tummelte. Für einen Abend hatte man alle Rivalitäten eingefroren und vergnügte sich bei Wein und Musik. Andere nutzten die Chance, um neue Kontakte zu pflegen und Geschäftsmöglichkeiten zu sondieren.
Bendix, Baldowan und Rainald streiften müßig durch das Gewölbe und genossen das Treiben. Da schlemmten drei Türsteher aus der "Güldenen Glocke" mit zwei der leichten Damen, ein bourbonischer Assassine, natürlich hinter seiner Maske verborgen, flirtete mit einer gomdischen Schenkenmatrone, zwei soldalische Seefahrer versuchten, so schnell wie möglich vergessen im Alkohol zu suchen und eine mysteriöse Hexe untersuchte eine große Vase, die auf einem der Speisetische stand.
"Wo sind eure tapferen Freunde, der Ritter und der Jäger?", begrüßte sie Malice, der Gastgeber, der sich in seiner Rolle als Vater der Unterwelt ausgesprochen wohl zu fühlen schien. Rainald grinste. "Andrej ist einfach viel zu gut für diese Party, er bekommt schon fast einen Schlaganfall, wenn ich auf dem Markt lange Finger mache oder, nun ja, beim Kartengeben ein wenig nachhelfe.... Wenn er es denn merkt, natürlich nur", fügte der Strassenkämpfer hinzu. Und unser Jäger ist ein Elf und ein Ästhet noch dazu, er bringt es nicht fertig, mit so vielen Dieben, Betrügern und Schlägern zu feiern." Er zuckte bedauernd die Schultern. "Die beiden verpassen einiges, wenn ich mir dein Varieté so anschaue..."
Malice nickte selbstzufrieden. "Ja, die Mädels könnten auch vor dem Stadtrat auftreten, keine Frage. Vielleicht", überlegte er, "sollten sie dann aber etwas anderes anziehen, die Kostüme sind ja doch recht freizügig..." Rainald stimmte begeistert zu. "Was ist mit deinem Freund, dem Troll? Er wirkt so... unzufrieden. Gefällt ihm meine Party nicht? Trolltänzerinnen konnte ich keine auftreiben!" In der Tat hatte sich Baldowan, eigentlich beileibe kein Kind von Traurigkeit, ruhig mit seinem großen Krug Bier in eine Ecke verzogen und unterhielt sich leise mit einem kleinen Schläger, der Rainald vage bekannt vor kam. "Ich glaube, Baldowan hätte nur zu gern den Schattenmantel in die Finger bekommen, um ihn zu verkaufen. Er braucht dringend Geld, weißt du?" Malice sah ihn fragend an. "Nun, er möchte seinen Lieblingszauber, den Feuerstrahl weiterentwickeln. Und Magieforschung ist teuer!" Malice rieb sich das Kinn, an dem eine tiefblaue Schattierung verriet, dass er schon länger keine Rasierklinge mehr benutzt hatte. "Ich weiß nicht, ob ich in einer Stadt leben möchte, in der Baldowan einen verbesserten Feuerzauber anwendet, dass ist mir zu gefährlich. Ah, ich muss mich jetzt um den Gaunerbrand kümmern!"
Während Malice seinen Kellnerinnen zu Hilfe eilte, die am Buffet hochprozentige Cocktails zubereiteten, deren Hauptbestandteil verschiedene bourbonische Branntweine zu sein schienen, beobachtete Rainald, wie sich Baldowan mit einem kleinen, hakennasigen Teppichhändler vom Nachtmarkt unterhielt, der in einschlägigen Kreisen als gewiefter Hehler und listenreicher Betrüger bekannt war. Was hatte Baldowan vor? Wollte er in großem Stil in der Unterwelt Fuß fassen und sich als krimineller Mietmagier verdingen? Sicher, ein Beruf mit Zukunft und gutem Verdienst, aber eigentlich nicht Baldowans Stil, oder etwa doch?
Mittlerweile hatte Malice höchstpersönlich den Gaunerbrand flambiert, der jetzt bläulich brennend serviert wurde. Rainald schnappte sich vier Gläser von einem Tablett und schlenderte zu Baldowan hinüber, dessen Miene mittlerweile zwischen Heiterkeit und Verdruß zu schwanken schien. "Prost, Alter! Habe ich dir schon gedankt? Für meine Rettung gedankt? Aus dem Gefängnis, meine ich?"Baldowan schüttelte säuerlich den großen Schädel. "Nun, dann tue ich das hiermit!". Mit diesen Worten schob er zwei der Gläser zu dem Troll hinüber und erhob eines seiner Gläser, in dem die dunkle Flüssigkeit noch immer bläulich loderte. Nachdem die beiden ihre Gläser geleert hatten, beugte sich der Strassenkämpfer verschwörerisch zu dem Magier hinüber. "Sag mal,was planst du hier eigentlich? Knüpfst Kontakte mit der halben Nevongarder Unterwelt, unterhältst dich mit üblem Abschaum..." Baldowan grinste säuerlich. "Komm mit, dann zeig ich es dir!" Er ging zu einem kleinen Nebenraum, in dem sich die verschiedensten Gegenstände stapelten. "Offenbar ist mir die Unterwelt ausgesprochen dankbar, weil ich die Idee hatte, einen Gefängnisausbruch anzuzetteln. Der erste schenkt mir eine alte Vase, weil ich seinen Cousin befreit habe, der nächste legt einen handgeknüpften Teppich dazu, weil ich seinem Sohn die Freiheit zurückgegeben habe, wieder ein anderer schenkt mir ein Säckchen Rauschharz, damit ich mich nach dem ganzen Stress besser entspannen kann..."
Rainald schätzte den Wert der Geschenke auf etwas über 60 Gulden und betrachtete staunend zwei kunstvoll verzierte Dolche, die in einer dekorativen Halterung steckten. "Aber die Höhe war", fügte Baldowan an, "dass mir einer von Jean-Claudes Schergen tatsächlich einen übergroßen, silber-schwarzen Hut mit drei riesigen rosafarbenen Straußenfedern übergeben hat. Er behauptete, diese Hüte seien der letzte Schrei unter den bourbonischen Hofmagiern! Es fehlte nicht viel, und ich hätte Hut und Überbringer mit einem schönen Feuerstrahl geröstet!" Der Troll schüttelte erbost den Kopf und wies auf einen riesenhaften Hut, der auf einem Ständer hing und seinen neuen Besitzer durch bloße Anwesenheit zu verärgern schien.
Rainald versuchte, sich zu beherrschen, konnte aber einen gewaltigen Lachkrampf nicht verhindern und wälzte sich fast am Boden. "Nimm es nicht so schwer! Wenn du die ganzen Sachen hier verkaufst, kannst du einiges an Geld zusammen kriegen, denke ich. Aber jetzt lass uns feiern, so ein Unterweltsdinner gibt es nicht alle Tage!" Mit diesen Worten schnappte er den Hut, warf ihn dem Troll auf den Kopf und beeilte sich, aus der Reichweite seines Freundes zu kommen.
An diesem Abend wurde noch viel gelacht, gegessen, gefeiert und getrunken und die Stimmung erreichte ungeahnte Höhepunkte, als die konkurrierenden Gauner, Banditen und Betrüger ihre Rivalität vorübergehend vergaßen. Selbst Alicia ließ sich am späten Abend zu einem kleinen Tänzchen mit dem Strassenkämpfer Rainald hinreißen, was nach der vorherigen Abfuhr ein eindeutiges Zeichen für ihre gute Laune war.
Baldowan schien sich von seinem Schock über den Magierhut erholt zu haben und trieb die Stimmung mit seinem berühmten Faßtanz auf die Spitze. Er levitierte ein volles Weinfass durch das Gewölbe und legte dazu einen erstaunlich geschmeidigen Walzer nach Trollart auf das schmutzige Parkett, während er immer wieder tiefe Züge aus dem schwebenden Fass nahm.
Einzig Bendix versank mit späterer Stunde immer tiefer in seinem Weinhumpen und schätzte nach bester Händlermanier den Wert des Schattenmantels auf immer astronomischere Werte. Wenn es ihm doch nur gelingen würde, Dieb und Mantel aufzuspüren...
Fortsetzung folgt...
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