Orbis Incognita
Orbis Incognita - Das Rollenspiel
Home
System
Karten
Tagebücher
Downloads
Kontakt

 

Rainald schaute interessiert, während Baldowan milde lächelte, als er die Begeisterung seines Freundes bemerkte. Der Strassenkämpfer liebte Waffen aller Art, insbesondere kleine, tückische, leicht zu verbergende Exemplare. Unterdessen ließ der Händler eine beeindruckende Litanei vom Stapel. "Der große Auguste de Gourmont pflegt bei mir zu kaufen, meine Herren, nur bei mir! Den Dolch, mit dem er den Großherzog William of Broadborough erstochen hat, kaufte er bei mir. Ich könnte Euch das Stilett für, nun, 25 Gulden überlassen."
Rainald erbleichte ein wenig, konnte sein Interesse aber nicht verbergen, als er zu feilschen versuchte. Der raffinierte Händler indes ging nicht von seinem Angebot herunter, so dass Baldowan Rainald schließlich mit sanfter Gewalt vom Stand wegzerrte, um zu einem Bierschiff zu schlendern. Bierschiffe waren typische Kähne, die einmal im Jahr zum Hafentag an Land gezogen und dort als Theke zurechtgemacht wurden. Als zwei große Krüge frisches Sandenhaffer vor den Beiden standen, erkundigte sich Baldowan nach Bendix, der sonst bei solch Festivitäten nur selten durch Abwesenheit glänzte.

Rainald begann genüßlich, vom gelungenen Verkauf der angeblichen Bierfässer und dem anschließenden Streifzug durch das Nachtleben zu berichten. Besonders der Bericht über Bendix kleine, private Orgie mit einer unbekannten Anzahl von Gespielinnen nötigte Baldowan ein breites Grinsen ab, gönnte er dem jungen Albioner seinen Erfolg doch von ganzem Herzen.

Während die ganze Stadt den jährlichen Hafentag in feucht-fröhlicher Weise beging, brütete Hauptmann Hermanis von der nevongardischen Stadtwache über einigen Dokumenten, die sich auf seinem Schreibtisch angesammelt hatten. Unter anderem ging es um den jungen Kaufmann Bendix, einen Albioner, der zur Zeit wegen Verdachts auf betrügerischen Handel in einer schönen Zelle einsaß und auf seine Verurteilung - so hoffte Hermanis voller Hass - wartete.
Der Hauptmann stammte aus einem kleinen Dorf nahe Nevongard und hatte sich langsam, aber zielstrebig in der Hierarchie der Wache emporgearbeitet. Seine Kampferfahrung beschränkte sich auf einige Raufereien in den örtlichen Wirtshäusern und auf ein Scharmützel mit einer Bande jugendlicher Krimineller, doch hegte er Ambitionen, zum Oberst der Stadtwache aufzusteigen und damit einige Privilegien zu genießen. Allzu lange würde der jetzige Oberst nicht mehr im Amt bleiben, so dass es galt, sich der Öffentlichkeit und dem Rat der Stadt als unnachgiebiger Verfolger jeglichen Unrechts zu präsentieren.

Hermanis blätterte die Anklageschrift nochmals durch und kam zu dem Ergebnis, dass der Ankläger und Richter, ein Jugendfreund seines Vaters im Übrigen, die Vorwürfe wohl schnell vor Gericht bringen würde. Bendix war des Betruges eindeutig überführt und die Beweise in Form von 15 Fässern Bier, von denen allerdings zehn lediglich billiges, minderwertiges albionisches Ale enthielten, lagerten in der Asservatenkammer.
Hermanis hegte einen tiefen Groll gegen Bendix, der kürzlich gemeinsam mit dem vertrottelten Trollmagier Baldowan Flammenfaust einen größeren, überaus erfolgreichen Gefängnisausbruch initiiert hatte, nicht ohne Hermanis und insbesondere zwei junge Gardisten in der Öffentlichkeit als völlige Idioten darzustellen.
Der Hauptmann zwirbelte versonnen die Spitzen seines prächtigen Schnurrbartes zusammen, nahm eine neue Feder und tauchte sie in das Tintenfaß, das neben seiner Schreibunterlage bereitstand. "Werter Herr Ankläger!" schrieb er und grübelte dann über den besten Wortlaut. Nach einiger Zeit war sein Brief fertig, ein Dokument, das dem Ankläger dringend empfahl, den Fall des Kaufmannes Bendix in einem Schnellverfahren zu behandeln, da die Fakten überaus klar seien und zudem die Beweismittel in Form von 15 Bierfässern die städtische Asservatenkammer über Gebühr belasten würden.

Hermanis setzte seine eckige, etwas krakelige Unterschrift unter den Text und streute Sand über die Tinte. Anschließend zog er ein Stück edles Pergament aus der Tasche und betrachtete es versonnen. Es handelte sich um eine Einladung für zwei Personen zum jährlichen Prunkball der Kaufmannsgilde, die Hermanis nur durch viel, viel Glück und etwas Bestechung in die Finger bekommen hatte. Er zögerte einen Moment, das Pergament unschlüssig in den Händen und schob es dann zu seinem Brief in den Umschlag. Es war bekannt, das der Ankläger der Stadt das prunkvolle Leben liebte, also würde sich die Einladung sicher als sinnvolle Investition erweisen.
Hermanis rieb sich die Hände. Es konnte kaum besser laufen. Er hoffte, das Bendix´ Prozeß, der aller Voraussicht nach mit einer sofortigen Ausweisung enden würde, vor der Rückkehr seines Vorgesetzten, des Obersten der Stadtwache, beendet sein würde. Schließlich war der einflussreiche Oberst gut mit dem jungen Paladin Andrej befreundet, der wiederum ein guter Kumpel von Bendix war. Hermanis rief seine Ordonanz und befahl, den Brief schleunigst dem Ankläger zu übergeben, um so Bendix der Ausweisung einen großen Schritt näher zu bringen.

© 2001-2025 by www.orbisincognita.de    Impressum    Kontakt