6. Kapitel: Verzweiflung & Unwissenheit
Später am Tage spazierten Rainald und Baldowan nochmals zu Bendix´ Kontor, um den Albioner zu besuchen und ihn ein wenig ob seiner wilden Orgie aufzuziehen. Doch als sie fröhlich plaudernd in den Hof schritten, war dieser noch immer leer, mit Ausnahme einer abgerissenen Gestalt, die laut schnarchend in einer Ecke lag.
Rainald näherte sich vorsichtig und grinste. "Na, Bendix ist das aber nicht!" Baldowan trat hinzu und schnupperte vorsichtig. "Der Kerl riecht ja schlimmer als eine Weinhandlung!" Rainald musste noch breiter grinsen, kannte er doch niemanden, der mehr nach Alkohol zu stinken pflegte als der Troll. "Tragen wir ihn raus?" Baldowan überlegte kurz, schüttelte dann aber den Kopf. "Nein, ich würde gern wissen, was er hier macht. Vielleicht hat er Bendix gesehen?"
Mit diesen Worten hockte sich der gigantische Troll nieder und schüttelte den Schlafenden mit überraschender Behutsamkeit. Nichts geschah. Baldowan schüttelte heftiger, doch der Schlafende antwortete nur mit einem durchdringenden Schnarchen. Nun gab der Troll dem Kerl eine sanfte Ohrfeige, doch der lallte nur ein "Lass mich n Ruheeee!", und drehte sich weg, erneut kräftig schnarchend.
Rainald drückte seinen Freund beiseite und schob vorsichtig die Regentonne heran, die gut gefüllt an der Hauswand stand. "Nun reichts! Heb mal mit an, bitte!" Die beiden wuchteten die schwere, gut gefüllte Regentonne bis auf Kopfhöhe und leerten das Gefäß dann mit einem gekonnten Schwung über den bemitleidenswerten Schnarcher aus.
Dieser, von einer gigantischen Wassermenge fast ersäuft, schoß wie von einer Schlange gebissen in die Höhe. "Wasser im Schiff! Wasser im Schiff! Männer, schöpfen.....! Ähhh, wer seid ihr?", fragte er und kratzte sich am nassen Schädel. "Ich arbeite hier, aber wer bist du?", erwiderte Rainald.
Der Schnarcher richtete sich auf und krächzte mühsam: "Nun, hier wohnt doch der junge Pfeffersack Bendix, oder? Für den arbeite ich auch! Warum habt ihr mich eben fast ertränkt?" "Anders warst du nicht wach zu kriegen! Hast du Bendix gesehen?" Der abgerissene Kerl, dessen schäbige Kleidung noch immer kräftig tropfte, zögerte ein wenig. "Was wollt ihr von ihm? Ich kenne Euch überhaupt nicht!" "Sicher hat er dir von uns erzählt, oder?"
"Tja, er erwähnte tatsächlich einige seiner Freunde, unter anderem einen," der Mann grinste hämisch und entblösste dabei einige gelbliche Zahnstümpfe, "großen, ungeschlachten, versoffenen Troll der sich als Magier versucht..." An dieser Stelle konnte Rainald nicht mehr an sich halten und wälzte sich laut lachend am Boden, während Baldowan schlechtgelaunt von einem Fuss auf den anderen trat.
Doch der Säufer war noch nicht fertig: "... und der sich des öfteren in Begleitung eines abgerissenen, schmierigen und vulgären Strassenkämpfers in den übelsten Kaschemmen der Stadt herumtreibt!" Nun war es an Baldowan, sich vergnügt den Bauch zu halten, während Rainald nervös sein Kurzschwerter aus der Scheide zog, um mit dem Daumen die Schärfe der Klinge zu prüfen. "Genug der Späße! Was wolltest du bei Bendix?"
"Nun, ich habe Informationen für ihn." "Dann raus mit der Sprache, wir nehmen die Informationen für ihn entgegen, und außerdem kannst du uns gleich noch verraten, ob du ihn kürzlich gesehen hast!" Der Informant grinste breit. "Außerdem sagte er, seine Freunde seien manchmal schwer von Begriff... Wenn ich ihn kürzlich gesehen hätte, wäre ich dann hier?" Rainald musste anerkennen, das diese Antwort eine gewisse Logik enthielt, doch langsam stieg der Zorn in ihm hoch. "Spucks aus, Bursche, sonst schmeckst du diese Klinge!"
Während er versuchte, möglichst furchterregend und bedrohlich dreinzuschauen, räusperte sich der Mann und hob eine seiner schmierigen Hände. "Nun, wenn du mir die Bezahlung in Höhe von ... 35 Silbertalern übergibst, bekommst du die Informationen!" Baldowan wollte gerade zu feilschen beginnen, schon gewohnheitsmäßig, als Rainald die geforderte Summe übergab, ohne mit der Wimper zu zucken. "Nun gut, so hört denn: Bendix wollte von mir wissen, ob jemand am Tage des Diebstahls - ihr wisst doch vom Diebstahl? - eine verdächtige Person zur Garteninsel übergesetzt hätte." "Und?" "Red nich dauernd dazwischen, ja? Ein Kollege hat einen Unbekannten übergesetzt und später auch wieder zurückgebracht. Hat 30 Silberlinge dafür kassiert. Ist viel für so ne Fahrt!"
"Wie sah der Kerl aus?" "Wer? Der Kollege?" "Nein, Blödmann! Der Unbekannte natürlich!" "Ach so, den meinst du! Eher klein, zierlich gebaut, unauffällig. Spitzes Gesicht, kein Bart, fliehendes Kinn." "Und die Kleidung, Mann? Die Waffen?" "Grauer Mantel oder Umhang, schwarze, enge Hosen. Schwarze Kappe. Hatte wohl keine Waffen, jedenfalls hat der Kollege nix gesehen." "Wo ist er danach hin?" "Woher soll ich das wissen? Mach mich jetzt weg." Mit diesen Worten sprang der Informant erstaunlich behände auf und lief vom Hof.
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