Rainald und Baldowan blickten sich fragend und verständnislos an. Nach einigen Minuten des Schweigens kratzte sich Baldowan nachdenklich am Kinn. "Wieso hast du eigentlich sofort die 35 Silbertaler bezahlt, ohne zu feilschen? Der Kerl wollte uns ausnehmen, das ist ja wohl klar, oder?" "Natürlich wollte er das. Aber ich weiß, wo Bendix das Wechselgeld aufbewahrt, dort werde ich mir die 35 Silberlinge zurückholen. Schließlich geht es ja um Bendix´ Informationen, nicht um meine..."
Bendix fühlte sich besser. Wesentlich besser sogar. Seine Kopfschmerzen waren fast völlig verschwunden und er konnte wieder klarer sehen. Er schaute sich vorsichtig in der dämmrigen Zelle um und stellte überrascht fest, dass er auf einer der zwei Pritschen lag, während vier der Mithäftlinge auf dem Boden hockten. Er hatte sogar eine Wolldecke, die etwas Wärme spendete und zu seiner großen Überraschung stellte er fest, das seine Schläfenwunde fachgerecht verbunden war.
Einer der anderen Häftlinge, der bemerkt hatte, das Bendix wieder wach geworden war, richtete sich auf. "Tach auch, Händler! Angst?" Bendix zögerte kurz und nickte dann. "War noch nie im Knast, war ich nicht." "Angst brauchste nich haben, Pfeffersack. Wir wissen, das du ´ne Flucht ermöglicht hast. Wir helfen dir, und unser Doc hat deine Wunden schon versorgt."
Mit diesen Worten wies er auf den großen Gefangenen, der kichernd an der Wand saß und seine Umgebung nicht wahrzunehmen schien. "Er ist ein wenig seltsam, aber früher, bei der Matrina, war er ein angesehener Heiler. Spielt und wettet gerne, zu gerne. Eines Tages hat ein Gläubiger ihm eins mit der Keule übergezogen und ihn einlochen lassen. Die Keule hat ihm das Hirn ordentlich durchgewalkt, deshalb lacht er jetzt nur noch irr, und Schulden hat er auch. Is aber ein netter Kerl, trotz allem!"
Bendix setzte sich auf und bewegte sich dann mühsam zu der Wasserrinne in der Ecke der Zelle, wo er sich das zerschundene Gesicht mit dem kühlen, etwas brackigen Wasser reinigte. "Gibt es ... Möglichkeiten, hier raus zu kommen?", fragte er seine Mithäftlinge zögernd. "Schwierig", antwortete ein älterer Mann, der auf dem Boden hockte und dessen Lächeln einen einzigen, gelblichen Zahnstumpf enthüllte. "Hier passen sie gut auf, die Wächter. Ist nicht einfach, hier rauszukommen, das kannste mir gern glauben. Bin schon seit zwei Jahren hier und denke darüber nach, aber bis jetzt ist mir nichts eingefallen".
Bendix dachte nach. "Wenn wir den Abfluß der Wasserrinne verstopfen, steigt hier drin das Wasser an, dann müssen sie uns rauslassen, wenn sie uns nicht ersaufen lassen wollen!" Der junge Albioner blickte beifallsheischend zu seinen neuen Kumpanen hinüber. Einer lachte leise, ein weiterer schüttelte müde den Kopf. Der Alte mit dem Zahnstumpf grinste freundlich."Junge, man nennt mich nicht umsonst den `Ausreißer´. Ich war einen Tag hier, da haben wir eben diese tolle Idee ausprobiert. Weißt du, was damals passierte? Die Wächter sind hergekommen und haben zugesehen, wie das Wasser stieg. Höher und höher. Irgendwann erreichte es dann die vergitterte Luke in der Tür und ist dadurch abgeflossen.... Hier drin stand das Wasser so hoch", er deutete auf seine Brust, "und draußen haben sich die Wächter totgelacht und zugesehen, wie wir in der Brühe standen. Essen haben sie erst wieder gebracht, als wir den Abfluß freigemacht hatten und hier drin kein Wasser mehr stand. Harold, du warst damals auch schon hier, oder?" Der Angesprochene nickte mit wenig Begeisterung und spie aus. "Jo. War verdammt naß und hatte danach ne Woche Schwindsucht. Nee danke, keine Ausbruchsversuche mehr ohne Hilfe von außen." Bendix wollte sich wieder auf seine Pritsche legen, doch da hatte sich inzwischen jemand anders breitgemacht, laut schnarchend auf der Seite liegend. Der junge Albioner ließ sich vorsichtig auf dem Boden nieder und harrte der Dinge, die da kommen würden.
Früh am nächsten Morgen wurde Bendix von einem heftigen Tritt in die Rippen geweckt. Er stöhnte leise und öffnete mühsam die Augen. Hauptmann Hermanis stand vor ihm, eine Radschloßpistole in der Faust, den Finger am Abzug, und fuhr ihn mit fauchender Stimme an: „Aufstehen. Mitkommen.“ Hinter dem Hauptmann standen zwei weitere Stadtwachen, die ebenfalls Pistolen in den Händen hielten. Hier gab es kein Entkommen. „Viel Glück, Händler. Du wirst es brauchen!“, verabschiedete sich der `Ausreißer´.
Die Wächter fesselten Bendix die Hände mit einer Eisenkette hinter dem Rücken zusammen und schleiften ihn hinter sich her. Hermanis steckte die Pistole weg und rieb sich lächelnd die Hände. „Jetzt kommst du vor Gericht, Betrüger!“ Bendix tappte mißmutig, die Augen auf den Fußboden gerichtet, hinter seinen Wächtern her. Was mochte ihm bei einem Prozeß drohen? Welche Strafe stand in Nevongard auf Betrug? Würden sie ihn überhaupt schuldig sprechen? Warum wurde ihm so schnell der Prozeß gemacht? Düstere Visionen von abgehackten Händen oder Brandzeichen zuckten durch sein Hirn und er begann umgehend, nach einem Fluchtweg Ausschau zu halten.
Wenn ihm die Flucht gelingen würde, könnte er als Freihändler auf einem der Kähne nach Albion anheuern und gen Heimat reisen, weg von dieser unglücksseligen Stadt, in der er seinem Glück vergeblich nachgejagt war.
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