Am Gildenmarkt saß der junge Jäger Sirion an einem der Tische des „Goldenen Herbstes“ und schnitzte gelangweilt mit seinem Jagdmesser an einem Stück Holz herum. Er hatte kürzlich einen Auftrag als Jagdmeister einer größeren Gesellschaft erfolgreich zu Ende gebracht und konnte es sich leisten, ein wenig Müßiggang zu pflegen. Genüßlich schlürfte er einen guten Kräutertee, dessen Geschmack ihn an seine elfische Heimat Silvania erinnerte und beobachtete das Treiben der überwiegend menschlichen Bewohner Nevongards.
Offenbar bereitete man auf dem Gildenmarkt soeben einige öffentliche Gerichtsverhandlungen vor. Tagelöhner schleppten schwere Tische heran, bedeckten sie mit rotem Damast und stellten weitere, einfachere Bänke für Zuschauer bereit. Der Paladin Andrej hatte dem kleinen Jäger erzählt, dass man im nevongardischen Rechtssystem dazu übergegangen sei, kleinere Prozesse besonders zügig zu verhandeln und die Verbrecher schnell ihrer Strafe zuzuführen. Sirion verabscheute Verbrechen ebenso wie die menschliche Gerichtsbarkeit, doch solange er nichts besseres zu tun hatte, harrte er der Dinge und beobachtete voller Neugier, wie ein bärtiger, bärbeißiger Richter gemeinsam mit einer Schreiberin näherkam, um am Richtertisch Platz zu nehmen. Er würde zugleich die Rolle des Anklägers übernehmen.
Bendix blickte gehetzt um sich, verzweifelt nach einem Ausweg suchend, weil er wusste, dass er vor Scham im Boden versinken würde, wenn man ihn vor Gericht stellen würde. Er wurde von drei schwerbewaffneten Wächtern scharf beaufsichtigt und sah keine realistische Möglichkeit zur Flucht. Seine Gedanken kreisten noch immer um die typischen Strafen, die für Betrüger vorgesehen waren und er erbleichte. Rechts und links von je einem Wächter flankiert, hoffte er verzweifelt auf eine Fluchtmöglichkeit.
Da seine Freunde nicht wussten, welches Schicksal ihm widerfahren war, konnte er von ihnen keine Hilfe erwarten, leider! Rainald musste ihn zuletzt gesehen haben, als er gerade mit der unbekannten Schönen von der wilden Feier verschwunden war. Sicher glaubte der Straßenkämpfer, er, Bendix, würde sich noch immer herrlich amüsieren. Seine Eskorte zerrte ihn um eine Ecke und sie näherten sich dem Gildenmarkt, was bedeutete, dass immer mehr Menschen die Straßebevölkerten. Plötzlich sah Bendix eine letzte, verzweifelte Chance auf sich zukommen, vielmehr zuwalzen...
Sirion schlürfte an seinem Kräutertee und streckte genüßlich die Beine aus. Das süße Nichtstun war eine wahre Wohltat, nachdem er sich die letzten Tage mit einer Jagdgesellschaft herumgeärgert hatte, deren Mitglieder bei einem Jagdpfeil hinten und vorne nicht zu unterscheiden vermochten. Die Aufmerksamkeit des Elfen wandte sich wieder der Straße zu. Weit, weit hinten näherte sich ein Zug mit Männern der Stadtwache und mindestens einem Gefangenen, der offenbar zur öffentlichen Verhandlung auf den Gildenmarkt gebracht wurde. Sirion kniff die außerordentlich scharfen Augen zusammen und fixierte die Gestalt, die überraschend teure Kleidung zu tragen schien. Irgendetwas kam ihm bekannt vor...
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