7. Kapitel: Ein Aufschub
Bendix seufzte erleichtert, als er erkannte, dass es sich bei dem Jagdhund um Twister handelte, der seinem Freund Sirion gehörte. Wenig später sah er Sirion in wildem Lauf aus dem Restaurant stürmen, einige entsetzte Gäste hinter sich lassend. Vielleicht gab es doch noch Hoffnung? Der Albioner nahm den Richter näher in Augenschein. Dieser war von mittlerer Größe, korpulent und fleischig gebaut. Seine tiefliegenden, stechenden Augen verhießen nichts Gutes und als Bendix den Blick wahrnahm, den der Richter in aller Heimlichkeit mit einem der Zuschauer austauschte, sank ihm der Mut. Hatte man ihn am Ende hereingelegt? Ein Namensschild auf dem Pult des Richters wiesen ihn als Marten Blauhut, Richter und Ankläger der Stadt Nevongard, aus.
Ohne langes Zögern eröffnete der Richter die Verhandlung. „Nennt Euren Namen, Angeklagter!“ Bendix zögerte kurz und schluckte dann leise. „Man nennt mich Bendix. Ich komme aus Albion und bin ehrbarer Händler!“ Er hatte sich bei diesen Worten stolz aufgerichtet und den Zuhörern der Verhandlung ein gewinnendes Lächeln geschenkt, dass allerdings nur von erschreckend wenigen Personen erwidert wurde. „Ihr seid des Betruges angeklagt. Man bezichtigt Euch, einen Kontrakt über 15 Fässer Bier nicht eingehalten zu haben. Der Streitwert beläuft sich auf insgesamt 90 Gulden. Das Gericht ruft den Wirt der „Gekreuzten Säbel“ in den Zeugenstand!“
Bendix ahnte ein übles Komplott, als er den Wirt, einen grobschlächtigen, ungehobelten Haluken, in den Zeugenstand treten sah. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er gemeinsam mit seinen Freunden eben diesen Wirt der Hehlerei bezichtigt. Leider waren ihre Zeugen im letzten Moment umgekippt, so dass es nicht zur erhofften Verurteilung gekommen war. Das unheilvolle Grinsen des Wirtes zeigte Bendix nur zu deutlich, dass der Zeuge ihn voller Genuß fertigmachen würde.
Tatsächlich schilderte der Wirt dem Richter und seinem Schreiber ausführlich, wie er für eine Veranstaltung kurzfristig größere Mengen Bier hatte aufkaufen lassen. Getätigt worden sei der Kauf durch einen Handelsagenten – er wies auf den schmierigen Zwischenhändler, der ebenfalls auf der Zeugenbank saß – der den Kontrakt mit Bendix abgeschlossen habe. Der Richter dankte dem Zeugen und entließ ihn mit einer kurzen Handbewegung.
Bendix versuchte aufzuspringen, wurde aber von seinen Ketten gehindert. „Hohes Gericht, ich möchte den Zeugen ebenfalls befragen!“ Richter Blauhut ignorierte die lautstarken Rufe von Bendix und fuhr mit der Verhandlung fort. „Der zweite Zeuge ist der Hauptmann der Stadtwache, Hauptmann Hermanis.“ Bendix spuckte verächtlich aus, was ihm einen kräftigen Stoß in den Rücken einbrachte. Unterdessen berichtete Hermanis, wie er Bendix festgenommen hatte. Dabei strich er heraus, dass der junge Albioner sich wiederholt mit Gewalt der Festnahme widersetzt habe und dass er möglicherweise einem Teufelskult angehöre.
Bendix blieb die Spucke weg. Teufelskult? Nur weil er eine kleine, nun, Orgie gefeiert hatte? Der Richter dankte auch Hermanis und begann dann mit fröhlicher Miene, dem Schreiber das Urteil zu diktieren. „Der Angeklagte wird in allen Punkten schuldig gesprochen. Der Kontrakt ist rückgängig zu machen, zusätzlich sind 50 Gulden Schadenersatz zu zahlen“.
An dieser Stelle rieb sich der Wirt der „Säbel“ verschmitzt die Hände. Blauhut fuhr unbeirrt fort: „Desweiteren wird der Delinquent zu einer Strafe von 50 Peitschenhieben abgeurteilt, zu verabreichen auf den Rücken. Um unschuldige Bürger künftig vor seinen betrügerischen Trieben zu schützen, wird anschließend das Brandzeichen „B“ auf seine Stirn gesetzt, der Angeklagte hat Nevongard dann auf immer zu verlassen.“
Bendix sackte völlig entmutigt zusammen und schüttelte den Kopf. Das nannte sich Justiz? Da hatten ja die wilden Highlander in seiner albionischen Heimat mehr Sinn für Gerechtigkeit! Er schwor sich, diesen ganzen Schwindel aufzuklären und seinen Leumund wieder herzustellen. Während zwei Stadtwächter nähertraten, sah Bendix, wie Twister die Kehle der Dogge entgültig zerfetzte, ein übles Blutbad anrichtend...
Während der Schreiber das Urteil noch niederschrieb, machte sich eine leise, aber eindringliche Stimme am Richterpult bemerkbar. „Hmm, hmm. Ein interssantes Urteil, Herr Kollege! Insbesondere die Geschwindigkeit, mit der Sie den Prozeß durchgeführt haben, beeindruckt mich sehr.“
Der Richter grunzte unwillig und versuchte, diese Störung einfach zu übergehen, doch als er den Blick ein wenig hob, erbleichte er. „Richter Guntram! Welch eine Ehre, Sie bei diesem kleinen, unwichtigen Prozeß begrüßen zu dürfen!“ Richter Guntram war der oberste Richter von ganz Nevongard, hatte üblicherweise nichts mit der Durchführung von kleinen Betrugsprozessen zu tun und es war sicher schon zehn Jahre her, dass er zum letzten Male den Vorsitz bei einem öffentlichen Prozeß hatte führen müssen.
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