Während von unten immer brutalere Schläge gegen die Falltüre donnerten, raffte Bendix in fliegender Hast einige der wertvollsten Gegenstände an sich, die der Hehler hier gehortet hatte. Da war ein hübsches kleines Diadem, dass mit mehreren roten Halbedelsteinen besetzt war, ein aus Kristall geschnittenes Tintenfass, eine massive Goldkette...
Bendix stopfte sich die Taschen voll und horchte. Inzwischen waren die Laute von unten verstummt und er vermutete, dass der Wächter gerade Verstärukung zusammentrommelte, um dann von außen in dieses Lager einzudringen. Mit einem bedauernden Blick auf all die Kostbarkeiten, die hier noch lagerten, raffte er noch schnell die persönlichen Notizen des Wirtes zusammen, lud selbigen ächzend auf die Schulter und riß eine brennende Fackel aus einer Wandhalterung.
Hektisch stieß er ein Fass mit hochprozentigem Schnaps um, so dass sich die klare Flüssigkeit über den Dielenboden ergoß. Der Wirt, inzwischen wieder bei Bewußtsein, begann unter seinem Knebel, gotteslästerliche Flüche auszustoßen. Bendix beruhigte ihn mit einer kleinen Kopfnuß und rannte in die Richtung, in der er den Ausgang vermutete. Er erreichte eine kleine, aber massive Türe, die zu seinem Glück nur von innen verschlossen war, öffnete sie und warf die Fackel mit einem entschlossenen Schwung über die Schulter in den Lagerraum der sofort zu brennen begann.
Rainald blickte sich mißmutig in seinem Zimmer um, dessen Schmutz und Enge er zutiefst verabscheute. Vier mal drei Schritte mochte der Raum messen, der Dielenboden war schäbig und dreckig und in den Ecken sammelte sich der Unrat. Die drei Möbelstücke, Pritsche, roh gezimmerter Tisch und ein wackeliger Stuhl, die der Herbergswirt hochtrabend als Mobiliar bezeichnet hatte, vermochten die triste Stimmung nicht zu verbessern. Der einzige Lichtblick war das kleine Fensterchen, das einen schönen Ausblick über die ganze Unterstadt und den Gomd erlaubte.
Der Straßenkämpfer, der damit beschäftigt war, seine Ausrüstung sorgfältig zu reinigen, nahm noch einen Schluck von dem mit Wasser verdünnten Wein, der in einem gesprungenen Krug bereit stand und verzog angewidert das Gesicht. Die letzten Tage hatten wenig positives gebracht. Er selbst hatte keine guten Aufträge finden können und von seinen mageren Ersparnissen leben müssen, seine Freunde waren beschäftigt oder verschwunden.
Fast aus Langeweile hatte er sich mit einigen Nachforschungen beschäftigt, ohne aber Hinweise auf das gestohlene Erbstück der Blaudorns oder das Gemälde des Schuldirektors finden zu können. Erst gestern war einer der Gläubiger von Bendix aufgetaucht, der einige ausstehende Beträge eintreiben wollte. Schließlich hatte Rainald sich dazu durchgerungen, die Schulden vorerst von seinem eigenen Geld zu begleichen, um Bendix eine Rückkehr in sein Kontor zu ermöglichen, sollte er in den nächsten Wochen den Schneid beweisen, seine abionische Visage nochmals in Nevongard sehen zu lassen.
Jetzt war er selbst, Rainald, jedoch gezwungen, in dieser widerwärtigen Absteige zu hausen. Nun ja, immerhin hatte er noch eine Verabredung mit der schönen Alicia vor sich, die in letzter Zeit bemerkenswert freundlich aufgelegt war. Es klopfte, einmal, zweimal. Die Erfahrung hatte Rainald gelehrt, eine gewisse Vorsicht an den Tag zu legen, und so griff er nach seinen Kurzschwertern, die frisch gefettet auf dem Tisch bereit lagen, bevor er die Tür öffnete. Vor ihm stand ein ihm unbekannter Mann, raspelkurzes, schwrzes Haar, häßlicher Schauzbart.
„Hallo Rainald, ich brauche deine Hilfe!“ Dem Straßenkämpfer viel es wie Schuppen vor die Augen. Vor ihm stand der verschollene Bendix, in etwas veränderter Aufmachung zwar, aber gesund und munter. „Wo kommst du denn her? Die halbe Stadt sucht dich, vor allem Hermanis mit seiner Stadtwache!“ „Wir haben keine Zeit! Du musst das hier verstecken, schnell!“ Mit diesen Worten leerte Bendix seine Taschen auf die Pritsche. „Ach, und da ist noch etwas: Der Wirt der Säbel, frisch verschnürt! Fass doch mal mit an, ja?“ Der verdutzte Rainald tat, wie ihm geheißen und half Bendix, den gefesselten Hehler ins Zimmer zu ziehen und vorerst platzsparend unter dem Bett unterzubringen. „Und jetzt versteck dieses ganze Zeugs hier“, er wies auf seine Beute, „und verarzte meine Wunden, bitte!“
„Man könnte meinen, ich sei den persönlicher Knecht“, nörgelte Rainald, tat aber, wie geheißen. Die Wertsachen verstaute er vorläufig unter einem lockeren Dielenbrett und anschließend brachte er die alte Chirurgentasche zum Vorschein, die er einst von seinem Vater, einem begabten Feldscher, erhalten hatte. „Was ist passiert? Du wurdest von zwei Pistolenkugeln getroffen und kannst noch aufrecht stehen?“ Rainald presste einen Kugelholer in die Wunde an Bendix Schulter und tastete vorsichtig nach der Kugel, die er fast direkt unter der Oberfläche ertastete. „Hast du Muskeln aus Stahl? Ich hätte schwören können, dass eine Pistolenkugel an dieser Stelle der Schulter weitaus mehr Schaden anrichtet!“
Bendix kicherte. „Dann kann ich dir nur empfehlen, einen Talisman des Schutzes zu kaufen, bevor du bewaffneten Gegnern entgegentrittst...“ Rainald pfiff anerkennend durch die Zähne, während er die Stirnwunde mit eine alkoholhaltigen Tinktur austupfte. Ein Schutztalisman wurde bei Bedarf blitzartig aktiviert und schützte seinen Träger wenigstens teilweise vor Angriffen. Starke Attacken konnten den Schutz jedoch durchdringen. Bevor Rainald weitere Fragen stellen konnte, sprang Bendix voller Energie auf und dankte seinem Freund. „Pass ein wenig auf den Wirt auf, ja? Bin bald zurück!“ Rainald fluchte lauthals, weil er jetzt seine Verabredung mit Alicia verpassen würde, doch dann kam ihm eine Idee, die ein wölfisches Grinsenauf seine Züge zauberte...
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